„Ach, fuck it, gibst du mir auch eine, bitte?“ Eigentlich ist da im Übel&Gefährlich ja Rauchverbot und eigentlich bin ja ich Nichtraucher, auch wenn diese Übergänge schon seit Jahren fließend sind. Also im wahrsten Sine des Wortes, umso mehr Flüssigkeit, desto mehr Rauch ist im Spiel. Na ja, egal, als die ersten Klänge dieses letzten Songs ertönen haben da drei in einer Reihe stehende Personen eine Fluppe im Mund. Und ich bin grade mal beim zweiten Bier. Nur um mal anzudeuten, wie notwendig es in diesem Moment war, sich die Lunge zu teeren.
Es ist DMD KIU LIDT. Schon Stunden zuvor hat man für sich selbst und mit anderen den Countdown heruntergezählt. Ich für meinen Teil werde Montagabend 500 Kilometer gereist sein, von Bielefeld nach Hamburg und zurück, nur um an einem Sonntagabend fünf Menschen zwei Stunden auf einer Bühne zu lauschen. Warum? Weil das alles war, aber mehr als ein bloßes Konzert. Und die Band war nicht irgendeine Band, das war Ja, Panik, von denen ich, nein, dutzende Musikjournalisten und ich und wer weiß noch wie viele andere Menschen glauben, dass sie eines, wenn nicht das wichtigste Album des Jahres herausgebracht haben.
DMD KIU LIDT. Ja, Panik spielen an diesem Abend das gesamte Album in geordneter Folge. Anderen Bands nimmt man schon übel, wenn sie auf Konzerten mehr als 1/3 neue Songs spielen. Hier ist das nur folgerichtig, authentisch und wichtig. Es gehört zum Konzept, wie ja auch das Album einem Konzept folgt, dem Konzept der Depression. Wichtig ist es, um sich nach circa einer Stunde dem 14-minütigen titelgebenden Stück hingeben zu können und auch in dessen Falle zu gehen. Denn was man vorher hörte, was auch schön ist, ist Leid, mal eher persönlich ausgedrückt, mal allgemeiner formuliert, immer greifbar und nah für jeden, der auch nur ansatzweise leidend ist (und ich oute mich an dieser Stelle mal als solcher, aber wer fühlt sich denn letztendlich nicht als Leidender?). Eine „Einladung, jemanden in den Arm zu nehmen.“, so Sänger Andreas Spechtl in einem Interview. Der letzte Song räumt damit dann auf. Brutalität und Unnachgiebigkeit in zunächst ruhigem, erklärenden, dann immer lauter werdenden und am Ende von den Kräften verlassen dahingehauchten Ton gekleidet. „So wie du dir das gedacht hast, war es aber eigentlich gar nicht gemeint.“ Jep, stimmt.
Mir steigt der Rausch des Nikotins in den Kopf. Das ist das Gute daran, wenn man nicht regelmäßig raucht, und wenn doch, dann nur betrunken: Da steckt noch Wirkung hinter, hinter jedem Atemzug verbirgt sich ein kleines High. Dazu prasseln Spechtls Worte auf mich ein, drücken mich fast nieder, und ich schwanke leicht, kann mich kaum halten teilweise. Überhaupt, der Spechtl. Okay, das ist ein fundamentales Thema, das er da besingt, und es kann an mir und meiner Identifikation liegen, dass ich so wahnsinnig gerührt bin von seiner Performance. Dass ich ihm jedes seiner Worte nicht nur abkaufe, sondern nach ihnen giere, noch bevor er sie ausspricht.
Als der letzte Ton verebbt kein Applaus. Nichts läge jetzt ferner, als so offen zu goutieren, was man soeben gehört hat. Darin sind wir, das Publikum, uns einig. Wir goutieren, nein, wir verarbeiten durch Schweigen. Ein Gänsehautmoment sondergleichen. Ich für meinen Teil habe noch nie so sicher gewusst, das 500(?, ich kann das ganz schlecht einschätzen wie viele ins Ü&G passen) Menschen dasselbe fühlen wie ich. Und das haben sie, das beweist der wunderbar ehrliche Applaus, der dann letztendlich doch kommt, nach circa 10 Sekunden. Sekunden, die wie Stunden scheinen, wie wunderbare Stunden des Einklangs, des Glücks. Einfach nur schön, wenn Musik so etwas bewirkt und man Teil davon ist
Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit. Um dahinter zu kommen und auch langfristig etwas aus diesem unglaublichen Album mitzunehmen, bedarf es der echten Aufarbeitung, nicht nur ein paar dahingekritzelter, zeitnaher Zeilen in einem Notizbuch (die gibt es wirklich, ist mir aber zu peinlich, euch die hier offenzulegen), ein paar verwischter Gedanken. Es bedarf eines Umdenkens, zumindest aber eines Nachdenkens darüber, ob Ja, Panik mit dieser Parole, die sie in DMD KIU LIDT (gemeint ist der Song) ausrufen, vollkommen Recht haben oder nicht. Wenn ja, muss sich was ändern, grundlegend. Bei mir zunächst, dann bei allen. An diesem Abend denken meine Mitstreiter und ich allerdings nicht mehr darüber nach: Von Ja, Panik mit ein paar älteren Gassenhauern entlassen, rücken wir in die "Mutter" ein, reden von banaleren Themen wie Serienhits der Kindheit und Heiraten. Vielleicht genau der richtige Umgang damit, vielleicht kann man Erkenntnisse nicht erzwingen. Vielleicht der völlig falsche Umgang damit, vielleicht muss man Erkenntisse diesbezüglich einfach erzwingen. Keine Ahnung. Ich bin doch einfach nur verzaubert von etwas, das mir in letzter Zeit beängstigend oft aus der Seele sprach und spricht.
Ach, um das Bild zu erklären: Ich habe mir einen Jutebeutel gekauft an diesem Abend und ihn mangels Konzertbildern - das konnte ich einfach nicht übers Herz bringen, während des Konzerts Bilder zu machen - im Nachhinein geblitzdingst. Ich hoffe ihr seid nachsichtig.
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